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Würdigung, für die Nachwelt

  • wschultze
  • 5. Mai
  • 13 Min. Lesezeit

Aktualisiert: vor 3 Tagen

Eine Hommage an eine Persönlichkeit – und nicht an eine Institution.

Verfasst von: Werner Francis Schultze, @Novus Tempus



Einleitung

 

Mit dem Tod von Papst Franziskus verliert die Demokratie keine Institution – sondern eine ihrer selten gewordenen Säulen. Denn seine Stimme war nicht die eines Machtanspruchs, sondern die eines aufrechten Gewissens. Er sprach nicht für die Wenigen, sondern für die Vielen – nicht für Ordnung, sondern für Frieden – nicht für Macht, sondern für Würde.

 

Am Ostermontag des Jahres 2025 ist Papst Franziskus im Alter von 88 Jahren in die jenseitige Nachwelt übergetreten. Während seiner aktiven Amtszeit hat er über Konfessionen hinweg Brücken gebaut – getragen von dem Wunsch, den Geist der Spaltung dieser Welt zu überwinden. Mit seinem Gehen verliert dieser Globus nicht nur das geistliche Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, sondern auch einen Menschen, der sich mit aufrechter Demut, unbeirrbarer Menschlichkeit und tiefem Friedenswillen in das Gedächtnis der Zeitgeschichte eingeschrieben hat.

 

 

Leben und Berufung

 

Im Jahre 1936 in Buenos Aires, Argentinien, unter dem bürgerlichen Namen Jorge Mario Bergoglio, zur Welt gekommen, wurde er im Jahre 2013 zum Papst der römisch-katholischen Kirche gewählt – als erster Jesuit und zugleich als erster aus Lateinamerika stammender Kardinal, dem dieses Amt anvertraut wurde. Den Namen Franziskus wählte er in bewusster Anlehnung an Franz von Assisi – als Zeichen der Demut, der Einfachheit und des Friedens.

 

 

Zwischen Schweigen und Gewissen

 

Auch Papst Franziskus trug in seiner Biografie jenen stillen Konflikt, der viele aufrichtige Menschen begleitet hat, wenn sie im Rückblick erkannten, wo sie nicht laut genug gewesen waren. Während seiner Amtszeit als Provinzial des Jesuitenordens in Argentinien (1973–1979) geriet Jorge Mario Bergoglio ab 1976 zunehmend in ein Spannungsfeld – zwischen innerkirchlicher Verantwortung, und den Gefahren der zu jener Zeit herrschenden Militärdiktatur.

 

Denn zwei seiner Mitbrüder gerieten in den Zugriff der Militärgewalt – und obwohl Franziskus nachweislich keine Schuld traf, blieb der Vorwurf, nicht ausreichend für sie eingestanden zu haben, wie ein lastender Schatten zurück. Er selbst schwieg lange, und es scheint, dass gerade dieses frühe Schweigen, in jenem Lichte, sein späteres Reden prägte. Nicht als Selbstrechtfertigung – sondern als innere Wandlung. Denn vielleicht beginnt Mut genau dort, wo man das eigene Versagen nicht leugnet, sondern verwandelt.

 

Nicht jeder, der leise war, war feige.

Aber jeder, der später spricht, hat womöglich erst das Schweigen begriffen.

 

 

Institutionelle Bedeutung – das Ende einer Selbstverständlichkeit

 

Mit der Wahl von Jorge Mario Bergoglio zum Papst endete eine lange, unhinterfragte Selbstverständlichkeit, denn seit über 1500 Jahren war das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche aus Europa hervorgegangen – aus dem kulturellen Zentrum der alten Weltordnung, aus dem die geistliche, politische und wirtschaftliche Deutungshoheit vom europäischen Kontinent hervorging.

 

Diese Ordnung war geprägt vom Selbstverständnis des „christlichen Abendlandes“, dessen religiöse Institutionen nicht nur innerkirchlich wirkmächtig, sondern auch mit den kolonialen, politischen und ökonomischen Interessen ihrer Zeit verflochten waren. Erstmals trat mit Franziskus ein Papst aus der kolonialen Peripherie auf die Weltbühne – nicht aus dem historischen Machtzentrum der Christenheit, sondern aus Lateinamerika. Eine Region, die nicht nur durch Kolonialgeschichte, Armut und soziale Ungleichheit geprägt ist, sondern auch symbolisch für weitere historische Landschaften steht: Landschaften, die unter geoökonomischen kolonialen Bestrebungen litten, von deren Nachwirkungen zahlreiche Kulturräume noch bis in die Gegenwart hinein gezeichnet sind.

 

In dieser Wahl spiegelte sich der weltpolitische Wandel unserer Zeit: das allmähliche Ende einer unipolaren Weltordnung, die Erosion der moralischen Deutungshoheit des Westens und das Aufbrechen globaler Machtverhältnisse – zugunsten einer multipolaren, von neuen Stimmen geprägten Weltgesellschaft.

 

Franziskus wurde zum Papst gewählt, nicht um das Alte zu verwalten – sondern um Brücken zu bauen!

 

Mit der Wahl von Franziskus setzte das Konklave (die Versammlung der wahlberechtigten Kardinäle) ein deutliches Zeichen für einen Kurswechsel innerhalb der Kirche – fort von der eurozentrischen Selbstverortung, hin zu einer universalen Perspektive. Es war damit auch ein Zeichen: ein Schritt heraus aus dem Schatten der eigenen Geschichte und ein Impuls für eine Kirche, die sich nicht länger ausschließlich durch europäische Kategorien versteht. Nicht als Bruch mit der Tradition, sondern als Korrektur einer jahrhundertelangen Einseitigkeit. Und als Eingeständnis, dass das Zentrum der Kirche nicht geographisch, sondern geistlich verortet sein muss.

 

 

Tradition der Zurückhaltung – Trennung von Kirche und Politik

 

Seit der Neuzeit – insbesondere im Zuge der Aufklärung – wurde der römisch-katholischen Kirche zunehmend eine politische Zurückhaltung abverlangt. Mit dem wachsenden Einfluss säkularer Verfassungsstaaten trat die Trennung von Kirche und Politik nicht nur als rechtliches Prinzip in Kraft, sondern wurde auch innerkirchlich zur Praxis.

 

Diese Entwicklung ging einher mit dem Aufstieg des modernen Nationalstaates, der religiöse und politische Macht voneinander zu trennen suchte. Er fand einen entscheidenden Wendepunkt mit dem Verlust des Kirchenstaates im Jahr 1870 – wodurch die Kirche ihre weltliche Souveränität formal verloren hatte. Von da an war ihre Wirksamkeit nicht mehr institutionelle Macht – sondern moralische Autorität.

 

Seither übt die Kirche keinen direkten Einfluss auf die staatliche Ordnung mehr aus. Sondern wirkt auf das Gewissen – und nicht auf jene gesellschaftlich etablierten Normensysteme, die als Gesetze tituliert sind. Somit agiert sie nicht institutionell, sondern kulturell – nicht als Macht, sondern als ethische Deutungshoheit. Denn wer das Gewissen prägt, beeinflusst auch Entscheidungen – nicht über Erlässe, sondern über Werte.

 

 

Was wir heute Gesetze nennen, sind keine universellen Wahrheiten –

sondern temporäre Ordnungsvorschläge, die sich Völker selbst gegeben haben.

In ihnen liegt nicht die Wahrheit – sondern der Versuch, mit ihr zurechtzukommen.

 

 

Und mit dem allmählichen Aufbrechen globaler Machtverhältnisse, zugunsten einer sich entwickelnden multipolaren Weltgesellschaft, war auch die Selbstverständlichkeit einer eurozentrischen Kirchenleitung nicht länger gegeben.

 

Die Tradition der Enthaltsamkeit wurde von den meisten Päpsten des 20. Jahrhunderts gewahrt.Sie äußerten sich zu moralischen Fragen – doch selten mit klarer Stellungnahme zu politischen Ordnungen, globalen Ungleichgewichten oder ökonomischen Systemen. Die Kirche hielt Distanz, um ihre Unabhängigkeit nicht zu verlieren – nicht als Ausdruck innerer Klarheit, sondern als Ausdruck institutioneller Sprachlosigkeit, genährt aus einem klerikalen Abstandsmodus, der jahrzehntelang als Tugend idealisiert wurde.

 

Papst Franziskus hat diesen Kurs nicht einfach verlassen, sondern vehement hinterfragt. Nicht, um die Kirche politisch zu instrumentalisieren, sondern um sie wieder an ihren Ursprung zu erinnern: an das prophetische Wort, das nicht schweigt, wenn Menschenwürde verletzt wird.

 

Er sprach nicht pastoral, sondern ethisch-politisch. Er schwieg nicht zur Klimakrise, zur weltweiten Armut, zur Flüchtlingsnot – und auch nicht zur Ausbeutung durch jenen entfesselten Kapitalismus, wie er sich in der gegenwärtigen globalen Wirtschaftsordnung zeigt – geprägt von Deregulierung, Profitmaximierung und einer Entgrenzung ethischer Verantwortung.

 

Er nannte die Dinge beim Namen – und damit durchbrach er die jahrzehntelange Zurückhaltung gegenüber ökonomischen und sozialen Systemfragen, die sich allzu oft als neutrale Haltung tarnte, aber systemische Unverantwortlichkeit deckte und strukturelle Ausgrenzung durch Schweigen ermöglichte.

 

„Diese Wirtschaft tötet.“

 

(Evangelii Gaudium, Nr. 53, Apostolisches Schreiben von Papst Franziskus, 2013)

 

Eine radikale Aussage, die sich gegen jene entgrenzte Form einer liberalen Marktwirtschaft richtete, die Profit über Menschen stellt – und damit eine Weltordnung kritisierte, die wirtschaftliche Interessen über das Gemeinwohl und die ökologische Mitverantwortung erhebt. Ein Satz, der mehr Sprengkraft hatte als so manches politische Programm – weil er aus dem Geist einer öffentlichen Ethik kam, nicht aus institutionellem Kalkül.

 

Franziskus hat damit keinen Machtanspruch formuliert – aber eine neue Form kirchlicher Verantwortung geltend gemacht, die über das Sakrale hinausreicht. Er nahm das öffentliche Wort zurück in das Zentrum kirchlichen Wirkens – nicht für eine Ideologie –, sondern als Antwort auf die Fragen zur globalen Entmenschlichung – und riss dabei auch an jener Brandmauer der Bequemlichkeit, hinter der sich viele geistliche Stimmen versteckt hatten.

 

Franziskus hat nicht gegen die Institution gehandelt, sondern sie von innen heraus geöffnet. Er hat der Kirche ihre Stimme im globalen Diskurs zurückgegeben – nicht durch institutionelle Macht, sondern durch Mut und Menschlichkeit. Damit wurde aus einer oft schweigenden Kirche eine hörbare Instanz – ohne die Grenzen zwischen Religion und Politik aufzuheben, aber ohne sie weiterhin als Vorwand für Untätigkeit zu dulden.

 

 

Persönliche Haltung – Gewissen vor System

 

Papst Franziskus war kein Repräsentant des kirchlichen Apparats, sondern ein Suchender unter Menschen. Er verkörperte eine Haltung, die weniger durch die Insignien des Amtes geprägt war, sondern durch das Bewusstsein einer Verantwortung, die dem Menschen vor der Struktur verpflichtet ist.

 

Seine Äußerungen zu Themen wie: Migration, sozialer Ungleichheit, ökologischer Zerstörung und jener Kapitallogik unsichtbarer Machtstrukturen – die den Menschen einem Markt unterordnet, der sich nicht länger als Mittel zum Wohlstand, sondern als Selbstzweck begreift – waren keine politischen Programme, sondern Ausdruck eines geistigen Maßstabs, der das Gewissen höher stellte als Konvention und den Menschen höher als jede Institution.


Seine Sprache war nicht mehr nur pastoral – sie war ethisch-politisch inspiriert, fast alttestamentlich-prophetisch in ihrer Wucht. Er rief nicht zu Ordnung auf, sondern zur Umkehr. Und seine Worte waren keine Predigten, sondern Warnrufe, getragen von einem Geist, der sich dem Gewissen mehr verpflichtet fühlte als einer regelbasierten Konvention.

 

Er sprach nicht als Politiker, aber wie ein Gewissen gegenüber der Politik – und mit dieser Haltung etablierte Papst Franziskus einen neuen Typus kirchlicher Verantwortung, der sich weder in die Enge der Parteipolitik noch in die Stille der festgelegten Riten ihrer Liturgie drängen ließ.

 

Franziskus war kein Mann der großen strategischen Gesten, aber ein Papst, der durch seine Sprache und seine Symbolik ein anderes Bild von Autorität entwarf – näher, durchlässiger, verletzlicher. In einer Welt, in der Systeme oft über Menschen gestellt werden, war seine Stimme ein Aufruf zur Umkehr: nicht durch Lautstärke, sondern durch Klarheit und Widerstand gegen moralische Gleichgültigkeit.

 

Dass Franziskus dem Jesuitenorden entstammte – jenem Orden, der nicht durch Machtanspruch, sondern durch Schulung des Geistes, der Disziplin und der Weltverantwortung geprägt ist – verlieh seinem Pontifikat eine eigene Tiefe. Er war nicht der Papst der Dogmen, sondern der Papst der Unterscheidung. Nicht der Hüter der Grenzen – sondern der Begleiter an den Rändern. Seine Prägung durch den Jesuitismus war keine Theorielandschaft, sondern ein geistiger Kompass, in dessen Zentrum das geschulte Gewissen steht – bereit zur Selbstkritik, zur Auseinandersetzung, aber niemals zur Gleichgültigkeit.

 

Franziskus war sich bewusst, dass tiefgreifender Wandel nicht von außen erzwungen werden kann. Er lebte, was Ignatius von Loyola einst erkannte:

 

‚Die Kirche kann nur von innen zerstört werden.‘

 

(Ein Lehrsatz aus dem Geist Ignatius von Loyolas – überliefert in der Tradition des Jesuitenordens)

 

Doch Franziskus wollte nicht zerstören – er wollte reinigen. Er wollte nicht entmachten – sondern aufrichten. Nicht bekämpfen – sondern befreien.

 

Franziskus stellte sich dieser Erkenntnis – nicht als Gegner der Kirche, sondern als ihr innerer Mahner. Er rief nicht zu Aufstand, sondern zu Umkehr. Und dennoch lag in seinen Worten Sprengkraft – weil sie den Missbrauch von Macht, die Instrumentalisierung von Glauben und die Verhärtung der institutionellen Sprachlosigkeit unmissverständlich benannten.

 

Er war kein Reformer im taktischen Sinn, sondern ein Papst, der das geistliche Amt wieder in die Nähe des Lebens rücken wollte: zu den Armen, den Ausgeschlossenen, den Heimatlosen, den Verletzten – und zu jenen, die in der Sprache der Theologie keine Heimat mehr fanden.

 

Seine Kritik an der transnationalen Kapitalmacht – die er nicht nur als System der Ungleichheit, sondern als „Terrorismus gegen die Armen“ benannte –, seine Sorge um die Schöpfung, seine Empathie gegenüber Migranten und sein Einsatz für interreligiösen Dialog waren nicht Ausdruck politischer Ambition – sondern Zeichen eines Papstes, der die Welt nicht von oben sah, sondern von unten verstand.


Franziskus war nicht der Papst der Dogmen, sondern der Papst der Begegnung. Nicht der Bewahrer der Ordnung, sondern der Anwalt des Gewissens. Und vielleicht war genau das, seine tiefste Provokation – in einer Welt, die nach Kontrolle verlangt, aber nach Wahrheit dürstet.

 

 

Gemeinsam im Geiste

 

Ähnlich wie mein Ahnengroßvater Martin Luther, erhob auch Papst Franziskus seine Stimme gegen Machtmissbrauch – nicht im Zorn, sondern in geistiger Klarheit. Seine Worte waren nicht gegen den Menschen gerichtet, sondern gegen jene Systeme, die das Menschliche entwürdigen – sei es durch Gier, durch Kontrolle oder durch das Schweigen im Angesicht des Unrechts.

 

Beide, Luther wie Franziskus, standen im Spannungsfeld zwischen Tradition und Gewissen, zwischen Amt und Wahrheit, zwischen der Angst der Institution und der Freiheit des Einzelnen. Beide kannten die Tiefe der Sprache, und beide wussten:

 

Worte, die dem Gewissen entspringen, tragen eine Kraft in sich,

gegen die keine Mauer auf Dauer standhält.

 

Papst Franziskus sprach nicht aus der Überlegenheit eines Amtes, sondern mit einer Stimme aus der Tiefe eines Gewissens. Und was er sagte, war nicht nur theologischer Diskurs, sondern ein seelsorgerlicher Weckruf. Er erinnerte uns daran, dass das Evangelium keine Formel ist – sondern eine Lebenshaltung.

 

Und so mag es wirken, als träfen sich hier zwei Stimmen – über Jahrhunderte hinweg:

Martin Luther, der einstmals sagte: „Hier stehe ich, und kann nicht anders.“

 

Und Franziskus, … der stand – nicht über der Welt, sondern in ihr. Nicht als Gegner der Kirche, sondern als ihr Gewissen.

 

 

Ein unausgesprochenes Zeichen – Franziskus in Lund

 

Im Jahre 2016 reiste Papst Franziskus nach Lund in Schweden – einem Ort mit reicher geistlicher Tradition, aber auch den Narben konfessioneller Trennung. Gemeinsam mit der lutherischen Weltgemeinschaft gedachte er dort dem 500. Jahrestag der Reformation – nicht im Zeichen des Widerspruchs, sondern im Geist der Versöhnung. Ausgerechnet die Stadt Lund, einst ein Brennpunkt religiöser Spaltung und von den Wunden des Dreißigjährigen Krieges geprägt, wurde so zum Ort eines historischen Brückenschlags – einer symbolischen Annäherung, ohne formale Aussöhnung. Das war kein bloßer Akt der Versöhnung – es war eine Geste, die mehr sagte als Worte:

 

– Hier stehe ich, im Angesicht der Geschichte! –

 

Franziskus hätte sich vorstellen können, Luther als einen „heiligen Unruhestifter“ der Kirche zu würdigen – nicht wegen seiner dogmatischen Schriften, sondern wegen seiner moralischen Courage. Doch Franziskus wusste: Diese Kirche war noch nicht bereit dafür. Und vielleicht – wollte er nicht spalten, was er versuchte zu heilen.

 

Franziskus heiligte Luther nicht, aber er würdigte das Anliegen – das im Vorfeld des 500. Reformationsjubiläums an die Kirche herangetragen wurde. Er sprach von der Reformation als einem „Weg zur Erneuerung“ – und betonte, wie wichtig es sei, ihre positiven Aspekte anzuerkennen. Und dass – in einer Kirche, die über Jahrhunderte Luther als Ketzer behandelte – das war vielleicht die stärkste Geste, die möglich war, ohne den noch bestehenden Dialog zu gefährden.

 

Manchmal ist eine unausgesprochene Ehrung wirkungsvoller

als eine dogmatisch erklärte Heiligkeit.

 

Und vielleicht – als ich jene Gedenkmünze in Händen hielt, mit der Inschrift „Life of a Rebel“(Das Leben eines Rebellen), dachte ich nicht nur an Luther. Ich dachte auch an Franziskus. Einen, der nicht schrie – aber widersprach. Der sich nicht abwandte – aber anders hinsah. Einen, der die Kirche nicht verließ, sondern von innen heraus wandelte. Nicht als Feind – sondern als ihr mutiges Gewissen.

 

Und weil Franziskus in seiner Bescheidenheit nie laut sprach, aber mit leuchtender Klarheit, ließ er Worte fallen, die bleiben:

 

„Der wahre Dialog beginnt dort,

wo ich dem anderen nicht meine Wahrheit aufzwinge,

sondern gemeinsam nach einer größeren Wahrheit suche,

die uns beide verändert.“

 

(Papst Franziskus – sinngemäß zum interreligiösen Dialog)

 

Ein Satz, der nicht gegen eine Konfession gerichtet war, sondern gegen die Selbstgerechtigkeit der Macht. Gegen jene westliche Gewissheit, die Religionen und Ideologien zu ordnen versucht, anstatt sie zu verstehen.

 

 

Vermächtnis – Eine Stimme gegen das Vergessen

 

Papst Franziskus' Worte galten nicht nur der eigenen Kirche, sondern einer Menschheit im Übergang. Er sprach mit einer moralischen Kraft, die über konfessionelle Grenzen hinaus – also über die Trennlinien von Religion, Partei und Nation – Gehör fand. Denn seine Botschaft war nicht ideologisch, sondern menschlich.

 

Franziskus war kein politischer Revolutionär – und doch war sein Pontifikat ein Aufbruch. Nicht weil er Parolen verkündete, sondern weil er sagte, was andere zu denken vermieden. Franziskus war kein Feind der Ordnung, aber ein Störer der Gleichgültigkeit.

 

Seine Worte richteten sich nicht gegen den Fortschritt an sich, sondern gegen jene Formen der Entfremdung, in denen der Mensch auf Konsum und Produktivität reduziert wird – sei es durch ungebremsten Materialismus, entgrenzten Globalismus oder technokratischen Neoliberalismus. Franziskus sah darin nicht nur eine wirtschaftliche Schieflage, sondern einen Angriff auf das Menschsein selbst.

 

Sein Vermächtnis ist kein Bauplan – sondern ein Ruf. Ein Ruf an die Menschheit, an die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Kirche – sich nicht im Komfort der Institution zu verlieren, sondern der Frage nach dem Gewissen standzuhalten. Es war ein Weckruf – an jenen Spiegel der Verblendung, unter dem die Welt seit langem leidet. Mit klarer Sprache zeigte er auf, was verdrängt wird:

 

 

„Der Mensch wird heute mehr denn je reduziert auf das, was er produziert und konsumiert.“


(Sinngemäß nach Papst Franziskus,

vgl. Rede an das Europäische Parlament, Straßburg 2014, ital. Originalfassung)


  • Eine eindringliche Kritik an der technokratischen Rationalität und der Reduktion des Menschen auf seine ökonomische Verwertbarkeit.

 

 

„Der Schrei der Erde und der Armen ist ein und derselbe.“

 

(Enzyklika Laudato si’, 2015)

 

  • Ein eindringlicher Appell, soziale und ökologische Fragen nicht länger getrennt zu behandeln.

 

 

„Ein Christ sollte keine Mauern bauen.“


(Sinngemäß nach Papst Franziskus,

Pressekonferenz auf dem Rückflug von Mexiko, 17. Februar 2016, engl. Originalfassung)


  • Eine Absage an Ausgrenzungsideologien und eine ethische Verpflichtung zu Offenheit und Mitmenschlichkeit.



„Ideologien, die den Menschen unterwerfen, haben keine Zukunft.

Sie töten die Freiheit und das Herz.“

 

  • Sinngemäß aus mehreren Reden von Papst Franziskus, u. a. im Zusammenhang mit seiner Kritik an religiösem Fanatismus, Nationalismus und radikalem Individualismus.

 

Diese Worte galten nicht Einzelnen – sondern der Haltung einer Zeit, die das Messbare über das Menschliche stellt. Papst Franziskus stellte dieser Mentalität ein anderes Maß entgegen: nicht Macht, sondern Dienst; nicht Technik, sondern Verantwortung; nicht Systemlogik, sondern das leise Leiden der Vergessenen. Er hat nicht – für eine Ideologie gesprochen, sondern gegen jene Ideologien, die den Menschen zu einer Ware des Humankapitals machen. Und das war – zutiefst – politisch. Aber eben auch, evangelisch – im ursprünglichen Sinn.

 

In einem Moment großer Weltunruhe, sprach Papst Franziskus aus, was nur wenige wagen:

 

 

„Die Welt befindet sich im Krieg.

Kein Krieg der Religionen. Es gibt einen Krieg der Interessen.

Es gibt einen Krieg um Geld. Es gibt einen Krieg um die natürlichen Ressourcen.

Es gibt einen Krieg um die Dominanz über Völker. Das ist der Krieg.

Alle Religionen wollen Frieden. Andere wollen Krieg.

Haben Sie das verstanden?“

 

(Papst Franziskus, Pressekonferenz auf dem Flug nach Krakau, 27. Juli 2016,

sinngemäß nach der italienischen Originalfassung; vgl. Vatican.va)

 

  • Eine schonungslose Analyse globaler Machtmechanismen – jenseits religiöser Deutungen.

 

Papst Franziskus sprach nicht nur über den Zustand der Welt – er benannte auch jene Strukturen, die ihn hervorbringen: die Logiken der Abschottung, der Ausbeutung und des Wettrüstens. Für ihn war Aufrüstung kein Ausdruck von Stärke, sondern ein Bekenntnis zur kollektiven Angst. Und Krieg kein Schicksal – sondern eine Folge von Ungerechtigkeit, von Gier, und von der Weigerung, aus der Geschichte zu lernen.

 

Indem Franziskus Aufrüstung als „Bekenntnis zur kollektiven Angst“ benennt, entlarvt er eine Schwäche, die sich als Stärke zu verkleiden versucht. Er spricht dabei nicht von allen Menschen, sondern von gesellschaftlichen Kräften – von kollaborierenden Denkmustern, die in bestimmten Gruppen und Institutionen vorherrschen. Sein Blick richtet sich gegen ein System, das Sicherheit militärisch denkt, anstatt zivilgesellschaftlich zu handeln.

 

Was bleibt, ist nicht nur die Erinnerung an einen Papst. Was bleibt, ist der Widerhall einer Stimme, die nicht schwieg, weil es bequemer gewesen wäre – sondern sprach, weil sie nicht anders konnte. Was bleibt, ist eine bleibende Botschaft – im Namen derer, die keine Bühne haben.

 

Franziskus, mit der Entschlossenheit eines Friedensboten, bleibt ein Vermächtnis für alle, die sehen wollen, was ist – und nicht länger schweigen können. Er hat den Stab nicht niedergelegt – er hat ihn weitergereicht: an seine Nachfolger – sei es institutionell, geistig oder an die wachsende Gemeinschaft der Erwachenden. In einer Zeit, in der sich mit dem elektronischen Netzwerk ein neues Kapitel öffnet – ein Gutenberg 2.0 –, liegt die Verantwortung nicht länger nur bei den Amtsträgern, sondern bei jedem Einzelnen von uns, dieses Vermächtnis zu bewahren, zu verkörpern – und in die Zukunft zu tragen.

 

Denn nicht die Größe einer Institution entscheidet über den Wandel – sondern die Aufrichtigkeit jener, die ihn wagen.

 

 


Gewidmet jenen, die verstehen,

dass Grenzen in den Sand gezeichnet und in die Köpfe von Menschen etabliert werden –

aber nicht in das Herz einer Menschheitsfamilie.

 

 

Werner Francis Schultze

Novus Tempus

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